20. Woche: Schulgeschichten

Diese Woche möchte ich ein bisschen über die Arbeit in der Schule berichten, denn es passieren jeden Tag schöne und nicht so schöne Sachen, die es wert sind, erzählt zu werden :D (Wer jetzt erst einsteigt in meinen Blog: ich arbeite in einer 1, Klasse, wo 5 autistische Jungs sind, und auch ein bisschen in der 3. Klasse, wo 4 sehr unterschiedliche Jungs mit verschiedenen Erkrankungen/Behinderungen sind)

 

Am Mittwoch gab es eine Situation in der 1. Klasse, die mich ziemlich aufgeregt hat. Der Matheunterricht war vorbei und die Jungs sollten sich für den Sportunterricht umziehen (das wird komischerweise im Klassenraum gemacht, es gibt keine Umkleideräume). Zwei Jungs waren schon fertig und saßen still auf ihrem Platz (das sind die unkompliziertesten Schüler der Klasse, die auch mal eine kurze Zeit sehr gut ohne eine Beschäftigung klar kommen). Dann ist die Mathelehrerin auf die wundervolle Idee gekommen, auf dem Fernseher Zeichentrickfilme anzumachen. Ich habe sie gebeten, damit noch zu warten, bis alle Kinder fertig sind, da mein Junge noch nicht fertig war und ich ihm geholfen habe- der Fernseher erschwert diese Arbeit (es ist der mit Abstand schwierigster Junge der Klasse, er braucht viel Hilfe beim Umziehen und ist auf viele Anweisungen angewiesen; außerdem fällt es ihm sehr schwer sich zu konzentrieren und ist vom Fernseher sofort abgelenkt). Diese Situation ist schon oft vorgekommen, aber ich wollte früher nicht wirklich was sagen, da sie ja die "Lehrerin" ist und die Hierarchie in Russland sehr streng gesehen wird. Aber darauf hatte ich keine Lust mehr.

Auf jeden Fall sagte die Mathelehrerin dann:"Ach Quatsch, der Fernseher bleibt an, er kriegt das auch so hin." Mein Junge hört sofort auf sich umzuziehen und starrt gebannt auf den Fernseher. Ich hatte auf sowas überhaupt keine Lust und hab es gelassen, ihm weiter beim Umziehen zu helfen und hab mich einfach daneben gesetzt. Die Lehrerin stellt sich vor ihn und sagt:"Zieh dich um, wenn du weiter auf den Fernseher guckst, mache ich ihn aus." Er versucht, an ihrem Körper vorbeizugucken, um einen Blick auf die überaus spannende Flimmerkiste zu erhaschen. Die Drohung der Lehrerin wiederholt sich. Er versucht weiterhin, ihrem Körper auszuweichen und denkt natürlich gar nicht mehr ans Umziehen. Dann ist es der Lehrerin auch zu bunt geworden und sie hat den Fernseher ausgemacht. In dem Moment hatte ich gleichzeitig ein kleines "Sieg-Gefühl", aber auch ein großes innerliches Kopfschütteln. Das sollen Pädagogen sein? 

Mit dem Fernseher ist es aber generell eine komische Sache. In meiner Klasse wird er viel zu oft angemacht (bei Svens Klasse ist es ganz anders, da ist die Lehrerin aber von der Pädagogik auch richtig gut). Im Prinzip jede Unterrichtsstunde min. 15 Minuten und meistens auch jede Pause (nochmal 10min). Auf den Tag zusammengerechnet ist das wirklich sehr viel Zeit, die die Kinder vor dem Fernseher verbringen. Die Lehrer wissen aber auch einfach keine Alternativen, wie man die Kinder anderweitig beschäftigen kann.

Ich muss aber zugeben, dass ich nach ein paar Monaten das Verhalten der Lehrer verstehen kann. In den Pausen bleiben die Kinder in den Klassenräumen (die Kinder aus den nur leichtbehinderten A-Klassen dürfen sich selbstständig auf den Fluren aufhalten) und die Lehrer haben gar keine Pause, da sie auf die Schüler aufpassen müssen. Es gibt auch kein Lehrerzimmer (also keinen schülerfreien Raum) in der Schule. Teilweise sind die Lehrer 4 volle Zeitstunden ohne Unterbrechungen mit den Kindern zusammen, und da freut man sich natürlich schon, wenn die Kinder mal still vor dem Fernseher sitzen und man selber eine kleine Pause haben kann.

 

Ich habe diese Woche auch festgestellt, dass 4 Jungs aus der ersten Klasse mich erkennen und meinen Namen zuordnen können. Wenn die Lehrerin fragt: "Wo ist Julia?" zeigen die 4 dann auf mich und ich finde das wirklich sehr schön : ) Ein Junge sucht auch permanent nach meiner Aufmerksamkeit, weil er mich mag (glaub ich zumindest haha). Wenn er eine Aufgabe macht und ich etwas weiter weg sitze, weil ich in dem Moment was anderes mache, ruft er mich immer voller Freude:"Julia, guck mal!" "Ja, du machst das sehr gut, weiter so." 2 Minuten später wiederholt sich das wieder :D Das ist nach dem fünften mal innerhalb von ein paar Minuten zwar ein bisschen nervig, aber in solchen Momenten merkt man, dass man für die Kinder wichtig ist und die ganze Arbeit in der Schule ihren Sinn hat.

Diese Woche war ich auch das erste mal mit im Sportunterricht bei der 1. Klasse. In den letzten 10min durften die Kinder frei spielen und ich habe mit meinem Jungen herumgealbert. Das hat uns beiden total viel Spaß gemacht :D Außerdem habe ich festgestellt, dass er am besten aus der Klasse einen Ball werfen und fangen kann.

Ich habe auch etwas interessantes über den Jungen erfahren vor ein paar Tagen. Offiziell haben alle Jungs Autismus, aber bei meinem Jungen ist es mir von Anfang an schwer gefallen, ihn irgendwo im Autismusspektrum zu sehen, da er  gar keine autistischen Verhaltensweisen o.Ä. zeigt. Natürlich bin ich kein Arzt oder Psychologe und kann das nicht beurteilen, aber ich vertraue russischen Ärzten in den Diagnostizierungen auch nicht wirklich :D Mein Junge hat starke Entwicklungsverzögerungen und geringe intellektuelle Fähigkeiten, weswegen ich ein bisschen die Vermutung hatte, ob das nicht die Folgen von fetaler Alkoholschädigung sein könnten. Aber dann habe ich erfahren. dass er ein Frühchen war und im 5. Schwangerschaftsmonat (!!!) auf die Welt gekommen ist. Außerdem hatte er im Krankenhaus kurz nach der Geburt auch noch eine Infektion. 

 

 

Am Donnerstag hatte die 3. Klasse das erste mal Skilanglaufen. In den Wintermonaten wird der Sportunterricht nach draußen verlegt und alle Schüler holen sich aus dem Schulkeller Skier und drehen dann mit dem Sportlehrer Runden um den Schulhof. Ich finde das immer noch sehr witzig, dass sowas in Russland üblich ist :D Es sieht auch total süß aus, wie die Kinder das machen.

Es waren aber nur 2 Jungs aus der dritten Klasse an dem Tag da, und ich wurde mit nach draußen geschickt, um ihre ersten Versuche auf Fotos festzuhalten. Den beiden hat es viel Spaß gemacht und es hat auch gut geklappt. Ich habe die Sportlehrerin gefragt, ob ich nächstes mal auch mitmachen darf, da ich das noch nie gemacht habe und sehr gespannt bin :D Sie hat dem zugestimmt und ich freue mich schon darauf, nächste Woche Skilanglaufen auszuprobieren.

 

 

Die Eltern der 1. Klässler sind auch super nett :D Nach den Weihnachtsferien haben die zwei Lehrer der Klasse und ich ein Geschenk von ihnen bekommen. Ich fand es total cool, dass sie auch an mich gedacht haben. 

Und abschließend möchte ich noch von einem Gespräch zwischen der Hilfslehrerin und mir berichten. An einem Morgen hat sie mir erzählt, dass sie sich drüber informiert hat, wie sich Menschen in anderen Ländern waschen. (Sie hatte die Erkenntnis ihres Lebens- in anderen Ländern haben Menschen auch andere Gewohnheiten. Krass, oder?) Ihre Internetergebnisse waren: in Großbritannien waschen sich die Leute sehr wassersparsam. Zuerst werden die Kinder in der Badewanne gebadet, danach wäscht sich die Mutter im selben Wasser, und zum Schluss der Vater. Außerdem lassen die Briten erstmal Wasser ins Spülbecken, und spülen dann das Geschirr in diesem Wasser und nicht unter laufendem Hahn. Dann kommentierte sie das noch:"Aber ist ja klar, dass die Briten so wassersparend sein müssen- sie haben ja auch nicht genug Wasser! In ganz Europa gibt es nicht genügend Wasser und ihr in Deutschland habt ja auch Probleme damit. Wir in Russland haben ja mehr als genügend Wasser mit unseren vielen Flüssen und Seen. Ich bin so froh in Russland zu leben und mir keine Gedanken über Wasser machen zu müssen und damit verschwenderisch umgehen zu können." 

Ich versuche ihr irgendwie zu erklären, dass das mit der Badewanne bestimmt nur früher so gemacht wurde, und jetzt nicht mehr üblich ist und dass wir in Europa (besonders in Deutschland...) keinen Wassermangel haben. Sie weiß, dass ich sparsam mit Sachen wie Wasser und Strom umgehe und ich hab ihr vor einiger Zeit schon mal erzählt, dass uns das auch in der Schule so beigebracht wird. Aber bei unserem Gespräch wollte sie mir einfach nicht zuhören, dass Deutsche mit Ressourcen wegen Umweltschutz etc. sparsam umgehen und nicht wegen Mangel. "Nene, ihr habt nicht genug Wasser in Europa. Und Strom habt ihr auch nicht genug." 

Also, liebe Leser in Deutschland, wenn ihr das nächste mal duschen geht: bitte nicht allzu lange, denkt dran, wir haben Wassermangel : )

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